Augenblicksversagen und Ermessen des Tatrichters

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Augenblicksversagen
Augenblicksversagen

Ausnahmsweise kann von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen werden, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Tat von den genannten Regelfällen zugunsten des Betroffenen unterscheidet und hierdurch die tatbestandsbezogene oder die rechtsfolgenbezogene Vermutung entkräftet wird.

Hierfür hat der Tatrichter eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende und ermessensfehlerfreie Begründung zu geben, in der im Einzelnen darzulegen ist, welche besonderen Umstände es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen. Dabei darf er die Angaben des Betroffenen, die den Ausnahmefall begründen können, nicht einfach ungeprüft übernehmen. Er hat sie vielmehr kritisch zu hinterfragen, um missbräuchlichen Vortrag auszuschließen.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Gericht ein Augenblicksversagen angenommen, da der Betroffene schilderte, er sei auf dem Weg zu seinem jüngsten Kind gewesen, das sich wegen einer HNO-Operation in einer Klinik befand. Seine Frau habe ihn darüber informiert, dass das Kind nach der OP stark geblutet habe und sich die Ärzte über die richtige Behandlung streiten würden, da die Blutung nicht gestoppt werden konnte. Er habe daraufhin einen gerade erhaltenen Auftrag – der Betroffene war als Taxifahrer tätig – abgesagt und sei direkt in die Klinik gefahren. Er habe die Verkehrsschilder aus Angst um sein Kind nicht mehr beachtet. Da hatte der Richter dann ein Einsehen und vom Fahrverbot abgesehen, ohne die Geldbuße zu erhöhen.

Beschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 29.10.2020, 1 OWi 2 SsBs 154/20